Gedichte zum Thema Liebe
Genug oft
                        Genug oft, dass zwei Menschen sich berühren,
                        nicht leiblich, geistig nur - dass sie sich "sehn",
                        dass sie sich einmal gegenüberstehn -
                        um sich danach auf immer zu verlieren.
                        Genug oft, dass ein Lächeln zweier Seelen
                        vermählt - oh nicht vermählt! Nur dies: sie führt,
                        so voreinander schweigend und erschüttert,
                        dass ihnen alle Wort' und Wünsche fehlen,
                        und jede, unaussprechlich angerührt,
                        nur tief vom Zittern der verwandten zittert.
                        Christian Morgenstern
Die Liebe lehrt
                        Die Liebe lehrt
                        Mich lieblich reden,
                        Da Lieblichkeit
                        Mich lieben lehrte.
                        Arm bin ich nicht
                        In Deinen Armen,
                        Umarmst du mich
                        Du süße Armut.
                        Wie reich bin ich
                        In Deinem Reiche,
                        Der Liebe Reichtum
                        Reichst du mir.
                        O Lieblichkeit!
                        O reiche Armut!
                        Umarme mich
                        In Liebesarmen.
                        Clemens Brentano
Du und ich
                        Du und ich!
                        Wunschlose Seligkeit
                        Strömt deine Nähe über mich.
                        Der Alltag wird zur Sonntagszeit,
                        Unsterblich schlingt das Leben sich
                        Um uns. Und Menschengöttlichkeit
                        Fühl' ich bei dir durch dich.
                        Was einst gewesen, weiß ich kaum.
                        Die enge Welt wird weiter Raum.
                        Und Holz wird Eisen, Eisen Holz
                        Und Stolz wird Demut, Demut Stolz.
                        Gar wunderbare Weisen
                        Singt dann bei seinen Kreisen
                        Mein Blut im Paradies für mich.
                        Es haben alle Wünsche Ruh', -
                        Ich weiß nicht mehr, wer bist dann du.
                        Ich weiß nicht mehr, wer bin dann ich.
                        Max Dauthendey
Schauder
                        Jetzt bist du da, dann bist du dort.
                        Jetzt bist du nah, dann bist du fort.
                        Kannst du's fassen? Und über eine Zeit
                        gehen wir beide die Ewigkeit
                        dahin - dorthin. Und was blieb? ...
                        Komm, schließ die Augen, und hab mich lieb!
                        Christian Morgenstern
Als ich die Augen schloss
                        Als ich die Augen schloss,
                        Sich Schlaf auf mich ergoss,
                        Da kam dein Augenpaar
                        Und sah mich an so klar.
                        Es sah mich an so tief;
                        Ich schaut' hinein, und schlief.
                        Es ging ein süßer Schmerz
                        Mir mitten durch das Herz.
                        Mich schaut' ich ganz hinein,
                        In Duft zerfloss der Schein,
                        Da fühlt' ich deinen Hauch
                        An meinen Wangen auch.
                        Ich streckte meinen Arm,
                        Am Busen war mir's warm,
                        Als lägest du daran;
                        Wie durft' ich dich umfah'n!
                        Wie ich dich an mich zog,
                        Wie ich dich in mich sog!
                        O warst du fern mir da?
                        So nah' warst du mir ja.
                        Trug dich der Traum zu mir?
                        Trug mich der Traum zu dir?
                        Wir haben diese Nacht
                        Beisammen zugebracht.
                        Friedrich Rückert
Liebeslied
                        Wie soll ich meine Seele halten, dass
                        sie nicht an deine rührt? wie soll ich sie
                        hinheben über dich zu andern Dingen?
                        Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas
                        Verlorenem im Dunkel unterbringen
                        an einer fremden stillen Stelle, die
                        nicht weiterschwingt, wenn deine Tiefen schwingen.
                        Doch alles, was uns anrührt, dich und mich,
                        nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,
                        der aus zwei Saiten e i n e Stimme zieht.
                        Auf welches Instrument sind wir gespannt?
                        Und welcher Spieler hält uns in der Hand?
                        O süßes Lied.
                        Rainer Maria Rilke
Liebe im Überschwang der Gefühle
                        Alles liebet, alles scherzet
                        In der fröhlichen Natur;
                        Alles küsset, alles herzet
                        Auf den Höhn, in Wald und Flur!
                        Und der Löwe flieht das Morden,
                        Das sonst höchste Lust ihm schafft;
                        Er verlässt der Brüder Horden,
                        Huldigt Amors Zauberkraft.
                        Lässt der holde Lenz sich nieder,
                        Sanft umschwärmt vom lauen West,
                        Senkt der Vogel sein Gefieder,
                        Bauet liebend sich ein Nest.
                        Und dir soll ich mich entziehen,
                        Die uns menschlich fühlen lehrt?
                        Franz Grillparzer
Nähe des Geliebten
                        Ich denke dein, wenn mir der Sonne Schimmer
                        Vom Meer erstrahlt;
                        Ich denke dein, wenn sich des Mondes Flimmer
                        In Quellen malt.
                        Ich sehe dich, wenn auf dem fernen Wege
                        Der Staub sich hebt;
                        In tiefer Nacht, wenn auf dem schmalen Stege
                        Der Wandrer bebt.
                        Ich höre dich, wenn dort mit dumpfem Rauschen
                        Die Welle steigt;
                        Im stillen Haine geh ich oft zu lauschen,
                        Wenn alles schweigt.
                        Ich bin bei dir, du seist auch noch so ferne,
                        Du bist mir nah!
                        Die Sonne sinkt, bald leuchten mir die Sterne.
                        O wärst du da!
                        Johann Wolfgang von Goethe
